Island - Der Rückzug der Magie

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Mein Reisebericht zu meinem 13-tägigen Islandbesucht ist gar keiner, sondern eher das schriftliche Verarbeiten von angestauten Gefühlen und Emotionen.

Und ich beginne dort, wo meine Reise bereits kurz vor ihrem Ende steht. Keine 48 Stunden vorm Rückflug auf einem Friedhof.

Genauer gesagt am Friedhof der berühmten Black Church in Búðir. Es ist mein zwölfter Tag in Island und die Halbinsel Snæfellsnes die letzte Station unserer Fotoreise. Aber vielleicht hole ich doch etwas weiter aus:

Ich war darauf vorbereitet, dass Island kein wildromantisches und einsames Reiseland mehr ist, sondern das Ziel von sehr vielen Touristen. Wir vermieden absichtlich die Hauptreisezeit und flogen daher im September.

Island ist 103.000 Quadratkilometer groß und hat 340.000 Einwohner, von denen ca. 60 % in der Hauptstadt leben.

2016 besuchten 1,7 Mio. Touristen die Insel, Tendenz steigend. Durchschnittlich befinden sich ständig ca. 30.000 Urlauber in Island. Jeder Zehnte ist also ein Tourist. Und die Touristen konzentrieren sich überwiegend auf die Highlights entlang der Ringstraße. Die Ringstraße führt einmal um die ganze Insel herum und die überwiegende Zahl der „Attraktionen“ liegt verkehrsgünstig direkt an oder unweit dieser Straße. Fährt man mit dem Auto durch Island, kommt es einem tatsächlich fast unberührt und einsam vor. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem man den Parkplatz an einem der wunderschönen Wasserfälle oder ähnlicher Naturspektakel erreicht. Dort bekommt man tagsüber kaum einen Parkplatz. Neben unzähligen Mietwagen, stehen dort auch große Reisebusse, die Massen an Touristen ausspucken.

Statt unberührter Natur gibt es Souvenirläden, Cafés und Hot-Dog-Stände. Die Touristenscharen bewegen sich über befestige und abgegrenzte Wege. An den Standpunkten mit der besten Aussicht verdichtet sich die Menschenmasse, es werden Smartphones und Selfiesticks gezückt. Es wird fotografiert und gepost, um ein möglichst spektakuläres Foto zu machen. Für Instagram- oder Facebook riskiert der ein oder andere bei ziemlich dämlichen Aktionen auch schon mal sein Leben. Da werden Geländer überklettert, um möglichst nahe der Abbruchkante zu stehen oder die Füße über dem Abgrund baumeln zu lassen.

Wir als Hobby-Fotografen versuchen natürlich dem Rummel zu entgehen und sind meist vor Sonnenaufgang mit Kamera und Stativ an den Fotospots. Fotospot. Das hat für mich, wenn es um Natur geht einen mehr als fahlen Beigeschmack. Es rumort in mir. Und das wage Gefühl in meinem Bauch, dass etwas nicht stimmt, wird mit jedem Touristenmagneten, den wir besuchen stärker. Klar, oberflächlich weiß ich natürlich, dass mir dieser ganze Rummel nichts ist, dass ich lieber allein draußen bin, Ruhe um mich habe und den Lauten der Natur zuhören kann.

Aber es ist mehr als das. Doch ich kann es nicht wirklich greifen oder in Worte fassen.

Was hat es nun mit dem eingangs erwähnten Friedhof auf sich? Genau dort, am vorletzten Tag der Reise, werden aus dem unguten Gefühl klare Worte. Erst die eines Schafes und nur Augenblicke später bilden sich die Worte in meinem Kopf und ich weiß, was hier nicht stimmt.

Ok, ich schätze, das muss ich erklären: Wir kommen mit dem Auto bei der Black Church in Búðir an. Es handelt sich um eine der ältesten Holzkirchen von Island, mit angrenzendem Friedhof und umlaufender Steinmauer. Ein sehr beliebtes Fotomotiv. Vorzugsweise bei dramatischen Wolken und mit Weitwinkelobjektiv. Den perfekten Blickwinkel hat man vom Friedhof aus.

Eigentlich hatte ich mich auf dieses Motiv gefreut, doch beim Aussteigen möchte ich meine Kamera am liebsten im Auto lassen. „Es ist eine Kirche“ denke ich, kein Kunstobjekt, das fotografiert werden sollte. Einige Fotografen sind bereits fleißig von allen Seiten aus am Fotografieren. Zwar nehme ich die Kamera dann doch mit aus dem Auto, umrunde die Steinmauer jedoch ohne Bilder zu machen. Mir kommt das alles falsch vor. Während ich noch versuche meine Gefühle zu ergründen, höre ich nicht weit entfernt ein Schaf blöken. Und dann kommt es auch schon angetrabt. Einmal an der Mauer entlang und mit einem kraftvollen Sprung hinauf. Dort steht es einige Augenblicke erhobenen Hauptes, um dann auf der anderen Seite der Mauer wieder herunter zu springen. Und nun steht es blökend auf dem Friedhof. Rational betrachtet, weiß ich, dass es seine Herde verloren hat und nach ihr ruft. Doch mir kommt es so vor, als ob es uns anklagt. „Das ist eine Kirche“ ruft es den Fotografen zu. „Ein heiliger und kraftvoller Ort“. Ihr solltet demütig sein, anstatt dort emotionslos zu stehen, eure Kameras zu zücken und nach dem besten Blickwinkel zu suchen.

Und da weiß ich es; kann das Gefühl endlich greifen.

Ich liebe die Natur, bin fasziniert von ihrer Vielfalt und Schönheit. Von der Kraft und der Magie, die ihr inne wohnt. Ich sehe die Natur und all die besonderen und magischen Orte nicht nur mit den Augen, sondern auch mit meinem Herzen. Das, was ich sehe, will ich durch meine Fotos vermitteln. Will dem Betrachter zeigen was ich sehe und die Augen und Herzen der Menschen für die Schönheit und Einzigartigkeit der Natur und unserer Mutter Erde öffnen. Damit möglichst vielen Menschen bewusst wird, wie wichtig es ist die Natur und alle Lebewesen zu schützen.

Ich sehe das Besondere oft in kleinen Details; spüre, dass die Magie an manchen Orten stärker ist als an anderen. Und gerade die Orte an denen sich die Touristen tummeln, sind es, an denen die Magie vor einigen Jahren wohl noch besonders groß war.

Island ist ein Land, in dem die Menschen noch an Magie glauben. Die Existenz von Elfen wird vom Großteil der Bevölkerung für möglich angesehen. Straßen und Häuser werden um Felsen herum gebaut, von denen man glaubt, dass dort Elfen leben.

Island ist ein Land voller Magie. Doch ich habe das Gefühl, dass sich die Magie zurückzieht. Nur an wenigen Orten kann ich sie spüren. Mir scheint, dass mit jedem gemachten Foto, egal ob mit professioneller Spiegelreflexkamera oder Smartphone, ein Stück der Magie abgetragen wird. Wie bei einem Aufkleber, den man abzieht und dabei ein Stück vom Untergrund mit entfernt. Die Magie wird abgezogen, Stück für Stück. Und was noch an Magie vorhanden ist, zieht die Erde zurück, um sich zu schützen, um ihre Kraft zu bewahren. Die zauberhafte Kraft ist noch da. Im Untergrund und an den Orten, die nicht so einfach zu erreichen sind. Dort, wo sich keine Touristen tummeln; wo nicht ständig fotografiert und gegafft wird, ohne ein offenes Herz für die tieferliegende Schönheit zu haben.

Ich bin sehr nachdenklich. Und auch, wenn ich der Natur und allen besuchten Orten in Island mit Respekt begegnet bin, werde ich das Gefühl nicht los, dass ich genau das Gegenteil von dem tue, was mir eigentlich wichtig ist. Statt die Natur zu schützen und meine Mitmenschen für ihre Schönheit und Einzigartigkeit zu sensibilisieren, trage ich dazu bei ihr die Magie abzusaugen. Ich laufe mit all den anderen auf vorgegebenen Pfaden um die „Attraktionen“ herum, fotografiere und lasse mich in leuchtend roter Jacke vor Wasserfällen ablichten.

Nur an wenigen Orten kann ich die Magie spüren. Das sind die Orte, an denen ich allein bin. Allein mit der Natur, allein mit den Elfen. Ich genieße diese Momente, lächle und in meinen Augenwinkeln glitzern Tränen.

Nun bin ich seit zwei Tagen zurück in Deutschland. Die gemachten Fotos schlummern in der Kamera. Ich werde das Gefühl nicht los, Mutter Erde, die Natur und die Elfen zu verraten. Es ist ein Schatz, der bewahrt werden muss. Wie könnte ich diesen Schatz für ein paar Likes auf Facebook oder Instagram verkaufen? Der Gedanke blitzt auf, ob ich nicht einfach die Speicherkarten löschen sollte. Aber das bringe ich dann doch nicht übers Herz.

Und so schreibe ich diesen Bericht, in der Hoffnung, mich mit meinen Gefühlen zu versöhnen. Ob jemand versteht, was ich hier schreibe? Viele werden wohl gar nicht bis hier hin lesen und wenn doch, vielleicht mit dem Kopf schütteln.

Ich jedoch, werde dieses Schaf am Friedhof in Búðir niemals vergessen. Ein Schaf, das die Worte gefunden hat, die mir fehlten.

Die Natur und ihre Magie lässt sich eben nicht in Hashtags und Facebook-Fotos fassen. Der Natur und ihrer einzigartigen Schönheit muss man sich öffnen. Fernab von Touristenrummel und befestigten Wegen. Am besten allein und in aller Stille.

Was nun aus meinen Fotos wird fragst du? Das ein oder andere werde ich wohl zeigen. In der Hoffnung damit keinen weiteren Schaden anzurichten, sondern vielleicht doch für den Schutz der Natur zu appellieren.

Wenn ich an Island zurückdenke, möchte ich auf keinen Fall versäumen seine Bewohner zu erwähnen. Denn nicht nur das Land als solches ist etwas Besonders, sondern auch die Isländer sind außergewöhnlich. Noch nirgendwo sonst, sind mir Menschen begegnet, die durchweg so offen, freundlich und herzlich waren. Ich glaube Oberflächlichkeit ist etwas, das man in Island nicht kennt. Die Isländer strahlen Lebensfreude und Vertrauen aus. Vertrauen in sich, Vertrauen in Island und Vertrauen in die Natur.

Ein Volk, von dem wohl viele Nationen etwas lernen können.

Und so werde auch ich vertrauen: in meine Intuition und darauf, das Richtige aus meinen Fotos zu machen und die richtigen Worte zu den Bildern zu finden.

Und ich hoffe in Island wird man einen Weg finden die Magie trotz Tourismus zu bewahren. Denn auch in Island gibt es kritische Stimmen, obwohl man natürlich dankbar für den Tourismus ist, der dem Land aus der Krise geholfen hat. Hoffen wir, dass sich nicht eine Krise ganz anderer Art anbahnt.